Auf eigene Faust: Tanger ohne Führer

Tanger ohne Führer und an einem Tag erleben? Die marokkanische Hafenstadt, mit ihrer Vielfalt an Farben und Gerüchen, der verwinkelten und engen Altstadt, ist in jeglicher Hinsicht eine unvergessliche Erfahrung. Und nirgends ist es leichter, dem Zauber des Orients zu begegnen als von Andalusien aus. Was lag also näher, während meiner Zeit in Andalusien zusammen mit einem Freund einen Tag in Tanger zu verbringen – ohne Führer.

Mit der Fähre in Richtung Orient

Rund 40 Kilometer trennen die Küstenlinien von Marokko und Spanien zwischen Tanger und Tarifa. Am Hafen ist es trotz der Dunkelheit schon sehr lebendig, denn bereits im Morgengrauen legt die erste Fähre ab. 45 Minuten soll die Überfahrt dauern, schreibt die Fährgesellschaft, aber die Abfahrt verzögert sich. Ich übe mich in Geduld, schaue aus dem Fenster in die Dunkelheit und hoffe, dass mich die Übelkeit trotz des Wellengangs verschonen wird.

Tanger ohne Führer erleben

Endlich, Ankunft in Tanger, draußen ist es inzwischen hell und das Wetter verspricht einen ruhigen und milden Tag. Doch mit der Ruhe ist es schnell vorbei, denn sofort nach Verlassen des Fährterminals fallen die selbsternannten marokkanische Stadtführer über uns her, sprechen auf Deutsch und Englisch auf uns ein, preisen lautstark ihre Dienste an, laufen eilig neben uns her, zeigen vermeintliche Ausweise und fordern unsere ganze Aufmerksamkeit.

Erst nach dem dritten oder vierten energisch hervorgebrachten „No“ und dem konsequenten Ignorieren des vom Führer vorgeschlagenen Weges lassen sie von uns ab. Wir sind zu Fuß unterwegs in Tanger ohne Führer und ohne zu wissen wohin, laufen wir eilig durch das weiße Stadttor und finden uns unvermittelt im Gassen-Wirrwarr der Medina wieder.

Fähre nach Tanger

Mit der Fähre in Richtung Orient

 

Quer durch die Medina und wieder zurück

Nicht wirklich überrascht stellen wir fest, wir haben uns verlaufen und unser an europäische Verhältnisse gewöhnte Orientierungssinn hilft uns nicht weiter. Straßennamen und Hinweisschilder gibt es nicht, auch keine Wegweiser. Weiter durch die engen und dunklen Gassen der Medina, vorbei an verschlossenen Türen und Fensterläden, rechts herum, nein doch besser links.

Schließlich entscheiden wir, den ruhig gehenden Einheimischen zu folgen, die alle das gleiche Ziel zu haben scheinen. Und tatsächlich, unvermittelt öffnet sich die Gasse und gibt den Blick auf einen Platz frei. Petit Socco, ein lebhafter Marktplatz gesäumt von ehrwürdigen Cafés und kleinen Läden, lädt zum Verweilen ein.

Ich fühle mich überwältigt von der Enge der Altstadt, den fremden Geräuschen, dem lebendigen Treiben der Straßenhändler und der orientalischen Architektur. Erst jetzt realisiere ich, dass ich wirklich einen anderen Kontinent betreten habe und wünsche mir nichts mehr als eine Pause, um in dieser mir fremden Welt anzukommen.

Mosaik an Häuserwand in Tanger mit der Aufschrift Petit Socco

Ein Mosaik an der Hauswand beim Petit Socco

 

Farbenfroh und laut: Ein Rundgang durch die Souks

Der Besuch eines Marktes gehört einfach zum authentischen Orienterlebnis dazu und nach einer kurzen Ruhepause machen wir uns am späten Vormittag auf, um den Souk in Tanger ohne Führer zu erkunden. Es herrscht bereits Hochbetrieb und wieder überwältigt mich die Menge an Eindrücken.

Die leuchtenden Farben der Gewürze, die Vielfalt an Gemüse und Früchten, Berge eingelegter Oliven, Geflügel gerupft und ausgenommen an einer Stange hängend, riesige Fleischtheken an denen Tierhälften angeboten werden und mitten drin die Fischhalle mit allen Arten von Meerestieren, lebend, am Stück, filetiert oder in Scheiben geschnitten, die lauten Rufe der Händler – der Souk scheint ein eigenes Leben zu führen, farbenfroh, pulsierend und laut.

Zu viel, zu eng, zu laut – wir verlassen den Souk in Richtung Grand Socco und finden ein wenig Erholung im Menduabia-Park, wo mächtige achthundert Jahre alte Dragonierbäume Schatten spenden, und in dem sich ein heute als Handelsgericht genutzter Palast befindet.

Marrokanische Süßigkeiten

Marrokanische Süßigkeiten

Kunstschmiede, Berbermarkt und Nationalgericht

Über den Platz des Grand Socco mit seinem großen Springbrunnen schlendern wir vorbei an Kunsthandwerkstätten in denen noch traditionell das Schmiedefeuer angefacht und mit Hammer und Amboss, das heiße Metall bearbeitet wird.

Davor bieten Bäuerinnen aus dem Rif-Gebirge in malerischen Trachten und unter den wachsamen Blicken der Männer ihre Waren auf dem Berbermarkt feil. Auf dem Boden liegen ausgebreitete Planen und darauf Berge von Süßkartoffeln, Zucchini, Bananen und Möhren, daneben in Stroh gebettete Eier, davor Flechtwaren und immer wieder zu Sträußchen gebündelte Pfefferminze. Wer mag kann sogar lebende Hühner erwerben.

Zeit für eine Stärkung und wir beschließen in die Medina zum Petit Socco zurückzukehren, um im Grand Café zu Mittag zu essen. Ich entscheide mich für das marokkanische Nationalgericht Tahine, in einer Kombination aus geschmorten Hühnchen mit Okraschoten, Kartoffeln und Möhren und bin begeistert.

Maurische Architektur und traditionelles Handwerk

Wir durchschlendern die engen, mit Geschäften gesäumten Gassen der Medina und gelangen bis hinauf zur Kasbah, die alte Festung mit dem ehemaligen Sultanspalast. Mich beeindrucken vor allem die maurische Architektur mit Mosaiken, Ornamenten und Holzschnitzereien, aber auch die leuchtend weißen Wände der Häuser mit ihren blauen Türen und Fensterläden.

Es ist später Nachmittag und wir wagen uns noch einmal in die engen Gassen mit den unzähligen Geschäften deren Fensterläden und Türen jetzt offen stehen, so dass wir den Händlern bei ihren traditionellen Handwerksarbeiten zu sehen können.

Kasbah von Tanger

Kasbah von Tanger

 

Auf den Spuren der goldenen Jahre im Hotel Continental

Es ist spät geworden, unsere Füße sind etwas müde und wir machen Halt im Hotel Continental, sitzen auf der Terrasse und genießen bei einem Glas Tee mit frischen Minzblättern und viel Zucker, den Blick über die Straße von Gibraltar bis nach Spanien.

Das Continental, am Rande der Altstadt von Tanger gelegen, ist eines der schönsten Kolonialhotels Nordafrikas. Wegen seiner stilvollen Ausstattung mit den verspielten Innenhöfen, den arabischen Salons und Terrassen mit traumhaften Ausblicken war es vor allem in Tangers goldenen Jahren Aufenthaltsort für zahlreiche Künstler, Literaten und Politiker.

Hotel Continental in Tanger

Hotel Continental: Nostalgie in Tanger


Ein viel zu kurzer Einblick in eine fremde Welt

Unser Tagesausflug neigt sich dem Ende entgegen und auf dem Rückweg zum Hafen verirren wir uns nicht mehr in den engen Gassen (auch wenn wir in Tanger ohne Führer unterwegs sind), denn wir haben dazu gelernt. An den Häuserwänden finden sich oft kleine handgemalte Pfeile und Beschriftungen, die Fremden den Weg weisen, aber leicht zu übersehen sind.

Unsere Entscheidung, Tanger ohne Führer und an einem Tag zu erkunden, haben wir nicht bereut. Sicher wir haben die außerhalb Tangers liegenden Sehenswürdigkeiten wie die Herkulesgrotten und den Leuchtturm am Cap Spartel nicht gesehen. Und ja, wir mussten uns den Angeboten der vielen Straßenhändler erwehren. Dafür haben wir einen nachhaltigen Eindruck in das Leben und den Alltag in dieser aufregenden Stadt erhalten, ohne uns dabei unwohl oder in unserer Sicherheit gefährdet zu fühlen.

Was bleibt, sind die Begegnungen mit ganz unterschiedlichen Menschen. Einwohner, die uns freundlich den Weg weisen, herzlich grüßen und auf Sehenswertes hinweisen. Ihnen sagen wir „schukran“ – „danke“.

Was wir mitnehmen, ist ein tief wirkender Einblick in eine Welt, von der wir eigentlich nur wenig wissen. Eine Welt, die sich zum einen weltoffen und modern präsentiert und gleichzeitig in der Medina und im Kaspah-Viertel ihre traditionelle Seite, in der Männer das öffentliche Leben prägen und Frauen im Verborgenen bleiben, zeigt.

Du planst einen Besuch in Tanger ohne Führer?
Gute Idee! Schaue dir doch auch meinen Artikel mit praktischen Verhaltenstipps gegenüber Straßenhändlern in Marokko an.

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